Grenzen im Topf

Foto: Agnes Stelzer

Grenzen begegnen uns in allen Bereichen der Gesellschaft – somit auch in der Küche. Wir schauen in die Töpfe einer Donauschwäbin und einer Siebenbürger Sächsin. Was bedeuten Herkunft, Name und Geschmack traditioneller Gerichte für die Identität einzelner Gruppen und wie verändern sich Kochgewohnheiten durch Migration? Gibt es Grenzen im Topf oder bestehen sie eigentlich nur im Kopf?


Donauschwäbische Sarma

In der Küche mit Elisabeth Gruber aus Filipowa (heutiges Bački Gračac/Serbien)

Grenzen im Topf
Liesl kocht mit 85 Jahren noch immer für die ganze Großfamilie. / Foto: Agnes Stelzer

Nach der zweiten missglückten osmanischen Belagerung Wiens gelang es den christlichen Heeren nach 1683 weite Gebiete in Südosteuropa vom Sultan zurückzuerobern. Die Habsburger siedelten nun überwiegend Bauern aus Gebieten des Heiligen Römischen Reiches an – in den Regionen Batschka (bosnisch/kroatisch/serbisch Bačka) und Banat. Sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus militärischen Gründen sollte das fruchtbare, jedoch verödete Land wieder besiedelt und bebaut werden. In den folgenden Jahrzehnten gelangten große Bevölkerungsgruppen über die Donau in diese Gebiete. Das heute in der autonomen Provinz Vojvodina in Serbien – genauer in der nordwestlichen Batschka – gelegene Dorf Filipowa erreichten die ersten deutschsprachigen Siedler, die sogenannten Donauschwaben, im Jahr 1762.

170 Jahre später, am 28. Juli 1932, wurde Liesl – eigentlich Elisabeth Gruber, gebürtige Burghardt – in diesem nun überwiegend von der deutschen Minderheit bewohnten Dorf geboren. Doch im Alter von zwölf Jahren musste sie mit ihrer Familie 1944 fliehen. Ein Großteil der Donauschwaben floh, die Verbliebenen wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges oft in Lager interniert und anschließend vertrieben. Gemeinsam mit ihren Brüdern und der Mutter legte Liesl – wie viele andere Donauschwaben – über 3.000 Kilometer auf der Flucht zurück. Nachdem die Familie ab und an in Flüchtlingslagern unterkam oder bei Bauern, bei denen Liesl zeitweise zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde, erreichte sie drei Jahre später zu Fuß das bayerische Arbing im Landkreis Altötting.

Liesl spricht von drhoom (daheim), als sie sich an die Küche ihres Geburtsortes erinnert. Die Herkunft der Gerichte sei damals genauso durchmischt gewesen wie ihre Bezeichnungen. So habe es auf dem familiären Esstisch ungarische, deutsche, serbische und österreichische Speisen gegeben. Typisch seien Suppen und Eintöpfe, Bohnen, Paprikasch (Gulasch), süße und herzhafte Strudel sowie Cremeschnitten an den Feiertagen gewesen. Popcorn nennt Liesl Blatzgukruz – eine Wortschöpfung, die zur Hälfte aus dem Deutschen (platzen) und zur Hälfte aus regionalen Sprachen wie dem Serbischen – kukuruz (Mais) – abgeleitet wurde.

Ohnehin ist es oft schwer zu sagen, welchen Ursprung viele dieser Küchenvokabeln haben. Neben den slawischen Lehnwörtern benutzt Liesl Turzismen, Wörter meist türkischer Herkunft, die durch die Osmanen nach Südosteuropa gelangten. Auch Gukruzkoch (Polenta) sei laut Liesl ein beliebtes Essen gewesen.

Obwohl die Küche Filipowas viele Ähnlichkeiten mit der deutschen gehabt habe und sie selbst ihrer Aussage nach inzwischen „scho mehr Bayer wie sunst was“ sei, betont sie, wie rückständig die Bayern gewesen seien, als sie nach Arbing kam. So erzählt sie, dass die Arbinger im Gegensatz zu den Donauschwaben von Paradeisern (Tomaten) nur geträumt hätten. Ähnlich verhielt es sich laut Liesl mit dem elektrischen Licht, über das man im Gegensatz zur Batschka in bayerischen Privathäusern auf dem Land noch nicht verfügte. Und so mancher habe Liesl noch 1970 verwundert angesehen, als sie Wassermelone aß, die sie lange ausschließlich im Feinkostladen in der Stadt kaufen konnte.

Obwohl Liesl noch einige Rezepte aus ihrer Heimat kenne, koche sie nur noch wenige davon. Bereits ihre Eltern – auch der Vater habe am Herd gestanden – hätten ein paar Rezepte abgelegt, sobald sie sich in Arbing niedergelassen hatten. Ihr Lieblingsrezept von drhoom aber kocht Liesl noch immer: Sarma.

Grenzen im Topf
Die Köchin bereitet Sarma gerne an kalten Wintertagen zu. / Foto: Agnes Stelzer

Sarma

Für 4 Personen:
200 g Milchreis
2 Zwiebeln
2–3 Knoblauchzehen
1 Bund gehackte Petersilie
500 g gemischtes Hackfleisch
3 große Eier
Salz, Pfeffer
Paprikapulver (edelsüß)
1,5 kg Sauerkraut
2 Lorbeerblätter
300 ml Sahne
etwas Mehl
Wacholderbeeren

Reis bissfest vorkochen und etwas abkühlen lassen. Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie hacken und mit Hackfleisch, Eiern und Reis vermengen. Mit reichlich Salz, Pfeffer und Paprikapulver würzen. Masse zu faustgroßen Knödeln formen. Ein Drittel des Sauerkrauts in einen Topf geben, Hackfleischknödel darauf legen und mit dem restlichen Sauerkraut bedecken. Lorbeerblätter und, falls nicht schon im Kraut, Wacholderbeeren zugeben. Am Rand mit Wasser aufgießen, sodass zwei Drittel des Inhalts im Wasser sind. Etwa 45 Minuten auf kleiner Flamme köcheln lassen. Falls nötig etwas Wasser nachgießen. Sahne mit etwas Mehl andicken. Paprikapulver und etwas Pfeffer zur Sahne geben und über die Sarma verteilen. Nochmals 10 Minuten köcheln lassen. Dazu Salzkartoffeln und ein kühles Bier servieren.

Sarma (türk. für Roulade) oder auch Sarmale (rum.) sind ein in ganz Südosteuropa bekanntes Gericht mit Hackfleisch und eingelegtem Kraut, meist als Krautwickel angerichtet. Bei einer ebenfalls weitverbreiteten Variante sind es Weinblätter, die gewickelt werden. Die geschichtete Sarma-Variante von Liesl ist bei den Siebenbürger Sachsen unter der Bezeichnung Klaisenbricher Kreuckt (Klausenburger Kraut) bekannt. Echte Sarmalegefällt Kreuckt (gefülltes Kraut) – werden in deren Augen gewickelt.


Siebenbürgisch-sächsischer Gedinst Kompastzalaut met Palukes

In der Küche mit Christine und Melitta Friedsmann aus Almen (rum. Alma Vii)

Grenzen im Topf
Christine und Melitta an ihrem Herd in Bayern. In Almen stellten sie sogar ihre Küchentücher und Tischdecken selbst her. / Foto: Agnes Stelzer

Im 12. Jahrhundert warb das Königreich Ungarn um Bauern und Handwerker aus dem mitteleuropäischen Raum und gab ihnen Land im Karpatenbogen, im heutigen Siebenbürgen. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich aus den Siedlern, die größtenteils deutsche Dialekte sprachen, eine eigene kulturelle Gruppe: die Siebenbürger Sachsen. Im Kreis Sibiu (dt. Hermannstadt), im heutigen Rumänien, liegt das Dorf Alma Vii (dt. Almen), in dem über Generationen viele Siebenbürger Sachsen lebten. Für sie heißt das Dorf Almen.

Als 1933 Christine Friedsmann und 1961 auch ihre Tochter Melitta dort zur Welt kamen, waren die meisten Dorfbewohner Siebenbürger Sachsen. Nach der Hinrichtung Ceauşescus und der anschließenden Wende 1989 siedelte die Familie – wie viele Mitglieder dieser Minderheit – im Jahr 1990 nach Deutschland aus. Seitdem leben die Friedsmanns in Bayern. 2002 wurden nur noch weniger als eine Handvoll Siebenbürger Sachsen in Almen gezählt.

Wenn man sich mit Familie Friedsmann über die siebenbürgisch-sächsische Küche unterhält, fällt sehr bald auf, dass es Unterschiede bei der Bezeichnung der Gerichte gibt. Während der aus Agnetheln (rum. Agnita) stammende Familienvater, der in Hermannstadt das Gymnasium besuchte, die in der Stadt üblichen Speisenamen benutzt, verwenden die Frauen der Familie die ländlichen Varianten. So necken sie sich damit, dass sie den zu Feiertagen gebackenen Hefeteigkuchen Hanklich oder Hunklich nennen. Auch den Namen des hier abgedruckten Rezepts musste die Familie erst ausdiskutieren. Die weiblichen Familienmitglieder nennen das gekochte Gericht Kompastzalaut, eine Abwandlung des ungarischen Wortes für Krautsalat – káposztasaláta – oder doch des slawischen Pendants kapusta? Sie erklären, dass die meisten Siebenbürger Sachsen unter Kompastzalaut jedoch einen Beilagensalat verstehen und eher die Bezeichnung Gedinst Kreuckt (gedünstetes Kraut) verwenden würden.

Doch nicht nur bei den Namen, Zubereitungs- und Würzarten habe es bei den Siebenbürger Sachsen in Rumänien Unterschiede zwischen Dorf- und Stadtbevölkerung gegeben: Auf dem Land hätten die Frauen den ganzen Tag auf dem Feld und mit dem Vieh zu tun gehabt. Da sei im Gegensatz zur Stadtbevölkerung, deren Großzahl als Angestellte beschäftigt gewesen sei, nicht viel Zeit zum Kochen geblieben. Auf dem Land hätten die Familien vor allem an Feiertagen groß aufgekocht.

An gewöhnlichen Tagen hätten sie viel Palukes (Polenta), Sup (klare Suppe), Lavent (dickere Suppe, von ung. leves) sowie Tocană (Eintöpfe) gegessen. Auch saure Suppen – wie bei den Rumänen üblich – hätten sie gekocht. Dabei übernahmen sie, ähnlich wie bei der Tocană, nicht nur das Rezept, sondern auch den Namen des rumänischen Gerichts, ciorbă, der wiederum einen Turzismus erkennen lässt, der sich in die unterschiedlichsten Küchen eingeschlichen hat (türk. çorba, bosnisch/kroatisch/serbisch čorba, alb. çorbë).

Nach fast drei Jahrzehnten in Deutschland erzählt Christine, sie koche auch heute fast ausschließlich siebenbürgisch-sächsische Gerichte. Ihre Tochter aber habe nach ein paar Jahren in Deutschland damit begonnen, hiesige Rezepte auszuprobieren. Inzwischen sei nur noch etwa die Hälfte der von Melitta zubereiteten Rezepte siebenbürgisch-sächsischen Ursprungs.

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Zum Essen serviert der Familienvater einen selbstgebrannten Schnaps. / Foto: Agnes Stelzer

Gedinst Kompastzalaut met Palukes

Für 4 Personen:
400 g Bauchspeck
2 Zwiebeln
1 großer Krautkopf
2 Kohlrabi
Salz, Pfeffer
etwas Essig
2 Esslöffel Mehl
200 ml Milch
1 Becher Rahm
Polenta

Bauchspeck aufschneiden und im Topf anbraten. Herausnehmen und abkühlen lassen. Zwiebeln klein hacken und im selben Topf anbraten. Krautkopf und Kohlrabi fein hobeln, mit Pfeffer und Salz durchkneten. Die Mischung zu den Zwiebeln in den Topf geben und ohne Wasser unter ständigem Rühren im Fett anbraten, bis das Kraut zusammenfällt. Knapp mit Wasser bedecken und 30 Minuten köcheln lassen. Wenn alles weich ist, vorsichtig mit Salz, Pfeffer und Essig abschmecken. Zum Andicken das Mehl mit der Milch verrühren und in den Topf geben. Nochmals kurz aufkochen lassen. Mit dem angebratenen Bauchspeck, etwas Rahm, mit Wasser aufgekochter Polenta und frischem Brot servieren.

Gedinst Kompastzalaut wurde ursprünglich nur mit Kraut gemacht. Erst kurz bevor Familie Friedsmann nach Deutschland ausreiste, hatten sie auch Kohlrabi zur Verfügung. Seitdem macht Melitta das Gericht nicht mehr ohne Kohlrabi. Die alte Variante finde sie inzwischen zu langweilig. Laut den Köchinnen schmecke das Gericht noch besser, wenn man es in einem Römertopf aus Ton im Ofen zubereite.

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Von Agnes Stelzer

Agnes
Agnes Stelzer ist von der Geschwindigkeit der Köchinnen beeindruckt. Sie musste aufpassen, dass die Gerichte nicht schon fertig zubereitet waren, bevor es überhaupt losging.